Die vergessenen Frauen

Gedanken von Walther Uhle zu Straßennamen in Hannover

In Hannover sind die Frauen fast den beiden großen Denkern und Sozialisten — Marx und Engels — gleichgestellt: sie wurden bis auf wenige vergessen. Beinahe kann die Stadt mit ihrem Kulturamt stolz darauf sein, denn Frauen gelten hierzulande sowieso nicht viel, falls es nicht Prinzessinnen oder gar Königinnen sind.

Von den etwa 1970 Straßennamen, die wir im Straßenverzeichnis der Stadt Hannover von 1977 finden, sind die folgenden den Mädchen gewidmet: Adelheid, Berta, Brunhilde, Charlotte, Dorothea, Erika, Frieda, Friederike, Gusinde, Hedwig, Helene, Karoline, Luise, Lisbeth, Kriemhilde, Marie, Mathilde, Selma, Sophie, Viktoria.

Vielleicht hat man sich sogar bei einigen dieser Namen etwas gedacht, z.B. bei der Sophie, die in Herrenhausen unter einem Pavillon oder daneben sitzt. Aber es sind immerhin weibliche Vornamen, und ganz ohne Frauen lebt man in Hannover, der Haupt- und Residenzstadt, demnach doch nicht.

Das wird auch die Volkszählung ergeben, falls sich Frauen zählen lassen oder dafür vorgesehen sind, gezählt zu werden einschließlich der Hausfrauen und der Omas fürs Grobe.

Das sind 13 Frauen, es wären noch weniger, hätten nicht Misburg und Bornum einige Frauen bei der Kreisreform eingebracht. Im übrigen bleiben fast nur Wege den Frauen vorbehalten, für Straßen oder gar Alleen sind sie dann doch wohl nicht würdig genug. Statt der Lavesallee eine Rosa-Luxemburg-Allee? Man denke nur!

Neben den reichlich nichtssagenden weiblichen Straßennamen haben wir spaßeshalber auch noch einen Jungfernplan.

Von den bedeutenden Frauen wurden in Hannover wenigstens einige durch Straßennamen geehrt:

Anna-Siemsen-Weg, Anne-Frank-Weg, Elsa-Brandström-Weg, Gertrud-Bäumer-Weg, Käthe-Kollwitz-Weg, Louise-Schröder-Straße, Miegelweg, Modersohnweg, Ricarda-Huch-Weg, Sintenisweg, Selma-Lagerlöf-Straße, Suttner-Weg, Wildermuthweg.

Nun gibt es ja immerhin noch die „Weiße Rose”, die Studentinnen und Studenten gemeinsam ehrt.

Es mag einige Leute geben, die von der „Weißen Rose” etwas wissen, denn die Widerstandsaktionen der „Weißen Rose” sind in der Tat „unterrichtswürdig”. Ob es viele Bürgerinnen und Bürger in Hannover gibt, die sich bei Anna Siemsen etwas denken, falls sie überhaupt denken und nicht von der CDU daran gehindert werden, weil die deutsche Reaktion, die aus dieser Partei spricht, vom selbständigen Denken der Untertanen wenig hält?

Und haben wir in Hannover wirklich keine Frauen von Format, die eine Ehrung verdient hätten? Unter Umständen vielleicht sogar Frauen aus dem Widerstand, jüdische Frauen oder ganz bescheidene Arbeiterfrauen, etwa die Frau des ehemaligen Ministerpräsidenten Albrecht, die so fleißig am „Band” stand? Oder doch eher Katharina Petersen, die so viel für die Schulspeisung tat?

Vielleicht könnte man aber auch ohne große Kosten aus dem höchst überflüssigen Karl-Peters-Platz , der nach dem sehr umstrittenen Kolonialgründer benannt ist, einen „Louise-Peters-Platz” machen, um die Vorkämpferin der Frauenbewegung zu ehren.

Walther Uhle

Karl Peters war Gründer des Alldeutschen Verbands, der als NSDAP-Vorläufer deutsche Weltmachtsphantasien propagierte (und damit Hitlers Annektionspläne bis ins Detail vorwegnahm — incl. der deutschen Ukraine). In Afrika plante Peters ein deutsches Kolonialimperium von Zentralafrika bis zum Nil. England stoppte diesen Versuch, Peters wurde Kaiserlicher Reichskommissar in Ostafrika (heute Tanganjika). Erst schwere Angriffe der SPD führten 1897 zu seinem Sturz; er wurde wegen erwiesener Grausamkeiten gegen Afrikaner aus dem Reichsdienst entlassen. Das Disziplinarurteil gegen Peters wurde bezeichnenderweise nach seinem Tode von Hitler aufgehoben. Saubere Kumpane!
aus: Schädelspalter 1/83