Das ehemalige Gerichtsgefängnis Hannover 1933 - 1945

Alltag und Lebensbedingungen im Gefängnis

3. Die Arbeit der Häftlinge

Häftlinge, die bereits verurteilt worden waren, wurden in den Werkstätten, Arbeitssälen und Einzelzellen sowie im internen Gefängnisbetrieb wie Küche, Wäscherei etc. zur Arbeit eingesetzt.

Die Frauen waren vorwiegend in Gemeinschaftssälen mit Tütenkleben und Näharbeiten beschäftigt oder mit Butterbrotpapier wickeln, einrollen und etikettieren. Insbesondere den "politischen Frauen" bot sich hier Gelegenheit zu Gesprächen und Kontaktaufnahmen, die für das individuelle Durchhaltevermögen so außerordentlich wichtig waren:

"Zuerst sind ja keine Politischen in den Saal gekommen. Nachher haben wir uns dann da getroffen und waren einfach froh, uns wiederzusehen. Wenn die Beamtin dann mal 'rausging, hat es sich sogar manchmal ergeben, daß wir gemeinsam Volkslieder sangen. Dann gab es Krach mit den Kriminellen, die wollten lieber irgendwelche Zoten singen. Aber wir haben uns durchgesetzt." (H. D.)

Häftlinge, die bei noch laufenden Untersuchungen als Zeuge fungieren mußten und deswegen isoliert wurden, arbeiteten in den Zellen.

S. H., die im Prozeß gegen ihre Schwester und andere vor dem Volksgerichtshof Berlin als Zeugin geladen war, verbrachte fast ihre gesamte Haftstrafe von 1 1/2 Jahren in Einzelhaft. Allein in ihrer Zelle hatte sie unzählige Gefangenenstrümpfe zu stopfen, Schonhüllen für Hemdenkragen oder Hakenkreuzfahnen zu nähen. Später bestand ihr tägliches Pensum in vier Herrenhemden mit Knopflöchern.

Die Arbeit der Männer in den Werkstätten bot offenbar erheblich mehr Freiraum für Bewegungsmöglichkeit und Kontaktaufnahmen. Sicher wurde diese Arbeit auch besser bezahlt als Tüten kleben oder Hemdenkragen nähen.

Insgesamt scheint die Entlohnung der Häftlinge, die z. T. im Akkord arbeiteten, äußerst kümmerlich gewesen zu sein. So verdienten die männlichen Gefangenen selbst in der Tischlerei, wo qualifizierte Facharbeit geforderte wurde, 1933/34 nur 23 Pfennige am Tag:

"Da wurden aber zur Aufrechterhaltung der Invalidenversicherung noch Beiträge abgezogen. 'Draußen' kriegte ich etwa 76 Pf in der Stunde, hier nur 23 Pf den ganzen Tag." (W. R.)

Die Gefangenen in der Gefängnisschlosserei hatten 1934 offenbar einen Auftrag von besonderer Art zu erledigen:

"Zu uns in die Schlosserei kamen die Kriegsschiffe aus Kiel, die nicht mehr gebraucht wurden. Das Inventar mußten wir ausschlachten. Die Öfen, Herde usw. wurden dann an Privatleute verkauft, die kamen zu uns in die Werkstatt und suchten sich was aus.

Später habe ich dann gemeinsam mit einem Genossen aus Kassel zwei große Eisenfenster für die Gefängnisküche hergestellt, die dürften wohl bis zum Abriß gehalten haben ..." (F. G.)

Inwieweit die durch Gefangenenarbeit erwirtschafteten Gewinne von Bedeutung waren, hing vermutlich in erster Linie von der Art der Arbeit ab.

Zumindest bei der Wehrmacht dürfte es sich um einen Abnehmer gehandelt haben, der einträgliche Geschäfte garantierte. Denn bei der Herstellung von Militärspinden legte der "1. Hauptwachtmeister" in der Gefängnistischlerei, ein gelernter Tischler, 1933/34 großen Wert auf qualifizierte Facharbeit:

"Als ich dem Meister nach zwei Stunden den fertigen Briefkasten zeigte, staunte er nicht schlecht. Denn erst wollte er mich nicht in seiner Werkstatt haben, weil ich ein Politischer war, und nun kam er eine Stunde später wieder an und fragte, ob ich noch mehr 'politische Tisch1er' kenne. Da habe ich ihm dann beim Rundgang so zwei bis drei Kumpel gezeigt. Die holte er 'ran.

Dann hat er noch aus anderen Gefängnissen die Tischler 'rausgezogen, die mußten nach Hannover kommen. Allein sechs Mann aus Bad Lauterberg, alles Genossen, dann kamen zwei aus Ce11e, Tischlermeister. Nachher waren in der Tischlerei so 18 bis 20 Mann, darunter etwa 14 Politische." (W. R.)

Tatsächlich muß die Gefängnisverwaltung ein sehr starkes Interesse an dem Geschäft mit den Militärspinden gehabt haben:

"Na ja, wir waren so ein gutes Team, daß wir sogar einmal geschlossen die Arbeit niedergelegt haben. Wir wollten mehr Essen haben. Da haben wir denn auch wirklich einen extra Kübel voll aus der Küche gekriegt und auch etwas mehr Brot. Wir sollten dafür nachmittags aber auch eine halbe oder eine ganze Stunde länger arbeiten, damit der Auftrag geschafft werden konnte." (W. R.)

Auch sonst bot die Arbeit in den Werkstätten den Häftlingen Gelegenheit, sich der geforderten Disziplin und Ordnung in gewissem Maße zu entziehen:

"Wir konnten uns da zusätzlich noch ein bißchen versorgen. Denn im Keller mußten wir antreten und dann wurden wir über den Hof 'rüber in die Tischlerei geführt. Dabei kamen wir am Kartoffelkeller vorbei und da wir lange Unterhosen trugen, wurden die unten zugebunden, und der eine oder andere schlich sich dann zu den Kartoffeln ... Die haben wir dann in den Abzug vom Ofen gelegt, der Späne und Restholz verbrannte. Die schmeckten wunderbar, wie Pellkartoffeln, die am Osterfeuer geröstet werden. Und der Werksmeister hat immer geschnüffelt." (W. R.)

Sicher lassen die uns verfügbaren Augenzeugenberichte nur einen sehr begrenzten Einblick in den Arbeitsalltag der Häftlinge zu. So beziehen sich die Aussagen im wesentlichen auf die Zeit bis 1936. Daß es neben der Produktion von Militärspinden weitere Aufträge aus dem Bereich der Wehrmacht gegeben hat, kann nur vermutet werden.

Zu Beginn des 2. Weltkrieges sollten Häftlinge auch in der Rüstungsproduktion tätig werden. So lautete zumindest eine Forderung des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA), das der SS unterstehende zentrale Amt, von dem ab 1939 alle offiziellen und geheimen Polizei- und Sicherheitsorgane des Reiches geleitet wurden. (3)

Für Hannover ist eine derartige Maßnahme nicht bekannt. Allerdings wurden Häftlinge im Krieg z. T. für Aufräumungsarbeiten eingesetzt.

(3) Das Gerichtsgefängnis in Marburg erhielt die Aufforderung des RSHA, Gefangene in kriegswichtigen Betrieben zum Einsatz zu bringen: Hubert Kolling, Irmgard Stamm, Vom Knast zum Palast. Das ehemalige Gerichtsgefängnis in Marburg (Schriften der Geschichtswerkstatt Marburg Nr. 2), Marburg 1986, S. 30