Das ehemalige Gerichtsgefängnis Hannover 1933 - 1945

3. Hannoversche Häftlinge aus dem Arbeiterwiderstand

Unter den "Politischen", d. h. unter den aus politischen Gründen verhafteten Gefangenen, befanden sich Angehörige aller hannoverschen Widerstandsgruppen der Arbeiterbewegung:

Sozialistische Front

In über dreijähriger konspirativer Tätigkeit ist es der Gruppe hannoverscher Sozialdemokraten um Werner Blumenberg gelungen, durch Herstellung und Vertrieb ihres Hauptorgans, der "Sozialistischen Blätter", den Organisationsapparat in beachtlicher Weise zu erweitern. (27)

Die in regelmäßigen Abständen von 1934 bis Mitte 1936 publizierten "Sozialistischen Blätter" erreichten die Auflagenhöhe von 500 bis 1000 Exemplaren, die in Hannover und Umgebung sowie im Ausland zur Verteilung gelangten.

Die Widerstandsorganisation umfaßte neben einem engeren Leitungskreis ein weites Umfeld von Lesern und Beziehern der "Sozialistischen Blätter", so daß in Hannover und Hildesheim von etwa 1000 Anhängern der Sozialistischen Front ausgegangen werden kann.

Nach ersten Verhaftungen Ende 1934, im Frühjahr 1935 und Anfang 1936 konnte die Gestapo im August 1936 durch einen eingeschleusten Spitzel die Organisation "aufrollen": den Verhaftungswellen fielen ca. 300 Mitglieder zum Opfer.

Die meisten der vor dem Oberlandesgericht Hamm und dem Volksgerichtshof Berlin ab September 1937 verurteilten Mitglieder haben ihre Untersuchungshaft im Gerichtsgefängnis Hannover verbracht.

Der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm tagte im Landgericht Hannover. Die 224 Angeklagten wurden vom Gerichtsgefängnis über einen abgesperrten Straßenzug zu Fuß ins Landgericht gebracht und 216 von ihnen zu insgesamt 211 Jahren Zuchthaus und 152 Jahren Gefängnis verurteilt.

Die Gefängnisstrafen werden in der Regel im Gerichtsgefängnis "abgesessen" worden sein. Gegen sechs Mitglieder des engeren Leitungskreises verhängte der Volksgerichtshof Berlin im September 1937 Zuchthausstrafen zwischen 2 und 10 Jahren.

Drei der führenden Funktionäre, die im Anschluß an die verbüßte Zuchthausstrafe z. T. in Konzentrationslager verschleppt worden waren, haben während der Haft ihr Leben verloren (28):

Franz Nause (1903 - 1943)

Leitungsmitglied der Sozialistischen Front, am 30.06.1937 verhaftet, bis zum 03.08.1937 vermutlich im Gerichtsgefängnis Hannover, danach im Gerichtsgefängnis in Hildesheim in Untersuchungshaft, am 23.09.1937 vom Volksgerichtshof Berlin zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilt, die er in den Zuchthäusern Hameln und Brandenburg-Göhrden verbüßte, wo er am 20.03.1943 verstarb.

Friedrich Lohmeyer (1890 - 1945)

Abteilungsleiter der Sozialistischen Front, am 16.02.1936 verhaftet, ca. 19-monatige Untersuchungshaft im Gerichtsgefängnis Hannover, im Oktober 1937 vom Oberlandesgericht Hamm zu 5 1/2 Jahren Zuchthaus verurteilt, die er im Zuchthaus Hameln verbüßte; im Anschluß daran verschleppt in das KZ Sachsenhausen, kurz vor Kriegsende nach einem Transport in das KZ Mauthausen kam er im Außenkommando Ebensee ums Leben.

Wilhelm Bluhm (1898 - 1942)

Sozialistische-Front-Abteilungsleiter von Linden-Nord, am 15.9.1936 verhaftet, ca. ein Jahr Untersuchungshaft vermutlich im Gerichtsgefängnis Hannover, im Oktober 1937 vom Oberlandesgericht Hamm zu 5 1/2 Jahren Zuchthaus verurteilt, die er vermutlich im Zuchthaus in Hameln verbüßte; im Anschluß daran verschleppt in das KZ Sachsenhausen, wo er im Jahre 1942 ums Leben kam.

Kommunisten

Die Mitglieder und Funktionäre der KPD waren von den sofort nach dem Reichstagsbrand einsetzenden Massenverhaftungen besonders betroffen, so daß die Reorganisation eines Parteiapparates sich als besonders schwierig erwies. Auch in den folgenden Monaten des Jahres 1933 konzentrierte die Gestapo ihre Ermittlungen zunächst auf die Zerschlagung der KPD.

Allein von März bis Dezember 1933 wurden monatlich ca. 70 KPD-Mitglieder verhaftet. (29)

Nach bisherigen Erkenntnissen ist es der Partei bis 1935 gelungen, die immer wieder durch Verhaftungen auftretenden Lücken im illegalen Organisationsapparat zu schließen, neue Gruppen und Verbindungen zur Parteizentrale aufzubauen.

Insbesondere die Herstellung und der Vertrieb illegaler Druckschriften nahmen breiten Raum der Widerstandstätigkeit ein. So erschienen in unregelmäßigen Abständen die "Neue Arbeiter-Zeitung" (NAZ), das Parteiorgan, und weitere Zeitungen sowie Flugblätter, die z. T. getarnt mit unverfänglichen Titeln wie "Kaffee Hag schont ihr Herz" zum Widerstand gegen das NS-Regime aufriefen.

Die Zerschlagung der vermutlich letzten KPD-Bezirksleitung in Hannover sowie weitere Festnahmen von Betriebsgruppenmitgliedern bei der Hanomag gelang der Gestapo 1935.

Gegen die 31 vor dem Oberlandesgericht Hamm und gegen 8 vor dem Volksgerichtshof Berlin angeklagten Kommunisten wurden hohe Zuchthausstrafen verhängt.

Ende 1934 konnte die Gestapo eine große Anzahl von Funktionären des Kommunistischen Jugendverbandes (KJVD) aus Linden und der Nordstadt verhaften. Bei dem im Sommer 1935 stattfindenden Prozeß wurden mehrjährige Gefängnis- und Zuchthausstrafen ausgesprochen. (30)

Die zahlreichen bis dahin in Hannover verhafteten Kommunisten haben die Untersuchungshaft sowie die Gefängnisstrafen in der Regel im Gerichtsgefängnis Hannover verbracht.

Für folgende KPD-Funktionäre war diese Haftanstalt nur eine Durchgangsstation auf dem Weg in das Konzentrationslager, das sie nicht überlebten (31):

Walter Krämer (1882 - 1941)

Seit 1932 Abgeordneter des Preußischen Landtages und Leiter der KPD-Bezirksleitung, am 28.02.1933 verhaftet, 22 Monate Untersuchungshaft im Gerichtsgefängnis Hannover, am 19.12.1934 zu 3 Jahren Gefängnis bei Anrechnung von 1 Jahr Untersuchungshaft verurteilt, die er in Hameln und im Gerichtsgefängnis Hannover verbüßte; von dort am 15.01.1937 zur "Schutzhaft" in die Konzentrationslager Lichtenberg und Ettersberg/Buchenwald sowie anschließend in das Außenlager Goslar überstellt, wo er im November 1941 ermordet wurde.

Max Lademann (1886 - 1941)

Reichstagsabgeordneter der KPD seit 1924, Org-Leiter der KPD-Bezirksleitung, verhaftet am 22.04.1933, 20-monatige Untersuchungshaft im Gerichtsgefängnis Hannover, am 19.12.1934 vom Volksgerichtshof Berlin zu drei Jahren und 9 Monaten Gefängnis verurteilt, die er in der Strafanstalt Kassel-Wehlheiden verbüßte; im Juni 1939 wurde er in das KZ Sachsenhausen verschleppt, wo er am 29.03.1941 bei Arbeiten im Auftrag der SS zur Entschärfung von Bombenblindgängern ums Leben kam.

Hermann Waldvoigt (1909 - 1945)

Seit 1930 Bezirkssekretär des 28.02.1933 verhaftet, 9 Monate Untersuchungshaft, vermutlich im Gerichtsgefängnis in Hannover, im Dezember 1933 entlassen, danach war er in verschiedenen Gebieten des Reiches zur illegalen Widerstandsarbeit eingesetzt, verhaftet im Mai 1934 in Erfurt, im November des Jahres vom Volksgerichtshof Berlin zu 12 Jahren Zuchthaus verurteilt, 1944 in das KZ Neuengamme überstellt, im April 1945 auf der Cap Arcona ums Leben gekommen.

Weitere Gruppierungen

Zu den politischen Häftlingen im Gerichtsgefängnis zählten auch Angehörige von kleinen Splittergruppen der Arbeiterbewegung wie die "Sozialistische Arbeiterpartei" (SAP) und das "Komitee für proletarische Einheit".

Die hannoversche Gruppe der im Oktober 1931 als Abspaltung von der SPD gegründeten SAP gab seit dem Frühjahr 1933 die illegale Zeitung "Das Banner der revolutionären Einheit" heraus.

Bis zu seiner Verhaftung im August 1933 gehörte Otto Brenner, der spätere Vorsitzende der Industriegewerkschaft Metall, zu den Leitungsmitgliedern der Gruppe.

Er verbrachte fast zwei Jahre Untersuchungshaft im Gerichtsgefängnis, bis im Juni 1935 gegen ihn und weitere, im Laufe des Jahres 1934 festgenommene Angehörige der SAP-Gruppe der Prozeß stattfand. Otto Brenner wurde zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt.

Im gleichen Prozeß standen auch Mitglieder des "Komitees für proletarische Einheit" vor Gericht. Hervorgegangen aus einer innerparteilichen Oppositionsgruppe der KPD, ist es dem Komitee gelungen, auch Mitglieder von SPD und SAP zur gemeinsamen Widerstandsarbeit zu gewinnen.

Die etwa 100 Personen umfassende Gruppe gab monatlich die illegale Zeitung "Klassenkampf" heraus. Nach ersten Verhaftungen Ende 1934 ist es der Gestapo erst im Juli/August 1935 gelungen, durch weitere Festnahmen die Gruppe zu zerschlagen. (32)

(27) zu W. B. vgl. Werner Blumenberg. Sozialist, Antifaschist, Widerstandskämpfer, Emigrant. Eine biographische Dokumentation, hrsg. v. FZH Linden, Hannover o.J. (1987) (28) die folgenden Angaben sind im wesentlichen aus:
Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu den Stätten des Widerstandes und der Verfolgung 1933 - 1945. Niedersachsen II, hrsg. v. "Studienkreis zur Erforschung und Vermittlung der Geschichte des Widerstandes 1933 - 1945", o.O. (Köln), o.J.
Gerda Zorn, Widerstand in Hannover, Gegen Reaktion und Faschismus 1920 - 1945, Frankfurt/M. 1977
(29) Angaben nach Klaus Mlynek, Der Aufbau der Geheimen Staatspolizei ..., a.a.O. S. 71 (30) vgl. Heimatgeschichtlicher Wegweiser, a.a.O. S. 44 (31) die folgenden Angaben sind aus:
Mlynek, Gestapo-Berichte, a.a.O. S. 33
Gerda Zorn, a.a.O. S. 139 - 165
(32) Klaus Mlynek, Die Gestapo meldet ..., Polizei- und Regierungsberichte für das mittlere und südliche Niedersachsen zwischen 1933 und 1937, Hildesheim 1986, S. 34