Das ehemalige Gerichtsgefängnis Hannover 1933 - 1945

1. Recht und Gesetz 1933

Mit der Machtübernahme der Nazis im Januar 1933 wurde das Gerichtsgefängnis Hannover zur Haftstätte für zahlreiche NS-Verfolgte und WiderstandskämpferInnen. Die bis dahin im Deutschen Reich #geltende Rechtsordnung war durch die erlassenen Notverordnungen wesentlich verändert worden:

Die Verordnung "zum Schutz von Volk und Staat", die am Tag nach dem Reichstagsbrand am 28. Februar als Notverordnung vom Reichspräsidenten Hindenburg erlassen wurde, setzte wesentliche Grundrechte außer Kraft: "Zur Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte ..." (3) wurden das Recht der persönlichen Freiheit, der freien Meinungsäußerung, der Pressefreiheit, der Vereins- und Versammlungsfreiheit aufgehoben.

Mit Terror und Gewalt setzten SA und SS - als Hilfspolizei eingesetzt - die Absichten und Ziele der nationalsozialistischen Führung durch: die Bekämpfung aller politischen Gegner.

Aufgrund dieser Verordnung wurden in den Monaten März/April 1933 allein in Preußen mindestens 25.000 Menschen in "Schutzhaft" genommen: ohne Beweise, ohne Verhöre durch einen Richter, ohne Anklage und ohne einen Rechtsbeistand wurden sie eingesperrt.

Auch in Hannover stellte sich schon sehr bald heraus, daß die verfügbaren Haftanstalten, das Polizeigefängnis in der Hardenbergstraße und das Gerichtsgefängnis, bei weitem nicht ausreichten, um die wachsende Anzahl von Gefangenen unterzubringen.

Der hannoversche Polizeipräsident schlug daher die Errichtung eines "Sammellagers" vor: in einem Schreiben an den Regierungspräsidenten vom 16.03.1933 heißt es, daß "aufgrund der hier durchgeführten Aktionen gegen kommunistische Funktionäre" noch 133 "Schutzhaftgefangene" im Polizeigefängnis einsäßen. (4)

Als zehn Tage später die Zahl der "Schutzgefangenen" auf 332 gestiegen war (5), wurde eine "Lösung" akut.

Anfang April hatte man dann die weitere Planung abgeschlossen: die "Schutzhäftlinge" aus den Regierungsbezirken Hannover und Hildesheim, später aus der gesamten Provinz Hannover, wurden in das Provinzialwerkhaus Moringen bei Göttingen, einer ehemaligen sogenannten Arbeitserziehungsanstalt, eingeliefert. (6)

Mit der Errichtung eines KZ Moringen wurde ein weiterer Schritt zum Aufbau eines Apparates zur Unterdrückung oppositioneller Kräfte in der Provinz und Stadt Hannover getan.

Die Gestapo - mit weitreichenden exekutiven Vollmachten ausgestattet und der Kontrolle durch Parlament und Justiz entzogen - hatte ihre Dienststelle im Polizeipräsidium Hardenbergstraße eingerichtet oder korrekter formuliert, war aus der Abteilung IA der Politischen Polizei Hannover hervorgegangen. Durch ihren Sitz im Polizeipräsidium hatte sie unmittelbaren Zugriff auf die Häftlinge im Polizeigefängnis.

Ab März 1933 waren durch Verordnungen besondere Strafgerichte eingerichtet worden, für deren Rechtsprechung die gültige Prozeßordnung außer Kraft gesetzt wurde. Die neueingerichteten Sondergerichte konnten danach Urteile fällen, ohne Zeugen oder Sachverständige gehört oder andere Beweise geprüft zu haben. Unter § 16 der Prozeßordnung heißt es ferner: "Gegen Entscheidungen der Sondergerichte ist kein Rechtsmittel zulässig." (7) Die Urteile waren also unanfechtbar.

Das in Hannover eingerichtete Sondergericht war für den gesamten Bezirk des Oberlandesgerichtes (OLG) Celle zuständig.

Hier sollten Verstöße gegen die Reichstagsbrandverordnung und gegen das sogenannte Heimtückegesetz abgeurteilt werden.

Mit der Verordnung "zur Abwehr heimtäckischer Angriffe ..." und dem 1½Jahre später erlassenen "Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutze der Parteiuniform" vom 20.12.1934 konnte jede/r bestraft werden, der in irgendeiner Form Kritik an der Regierung, der NSDAP oder ihrem Führer übte.

Das Gesetz sah u. a. vor:

"Wer vorsätzlich eine unwahre oder gröblich entstellte Behauptung tatsächlicher Art aufstellt oder verbreitet, die geeignet ist, das Wohl des Reiches oder das Ansehen der Reichsregierung oder das der NSDAP oder ihrer Gliederungen schwer zu schädigen, wird mit Gefängnis bis zu 2 Jahren ... bestraft." (8)

Tatsachen konnten somit als unwahr hingestellt und ihre Verbreitung bestraft werden.

In § 2, Abs. 1, hieß es weiter:

"Wer öffentlich gehässige, hetzerische oder von niedriger Gesinnung zeugende Äußerungen über leitende Persönlichkeiten des Staates oder der NSDAP, über ihre Anordnungen oder die von ihnen geschaffenen Einrichtungen macht, die geeignet sind, das Vertrauen des Volkes zur politischen Führung zu untergraben, wird mit Gefängnis bestraft."

In Abs. 2 wurde bestimmt:

"Den öffentlichen Äußerungen stehen nichtöffentliche böswillige Äußerungen gleich, wenn der Täter damit rechnet oder rechnen muß, daß die Äußerung in die Öffentlichkeit dringen werde."

Und § 3, Abs. 2, verfügte:

"Wer die Tat in der Absicht begeht, ... in der Bevölkerung Angst oder Schrecken zu erregen oder dem Deutschen Reich außenpolitische Schwierigkeiten zu bereiten, wird mit Zuchthaus ... bestraft. Jn besonders schweren Fällen kann auf die Todesstrafe erkannt werden." (9)

Heimtückeverordnung und Heimtückegesetz ließen jede Auslegung offen. Sie ermöglichten, selbst die harmloseste Kritik zu verfolgen oder auch politische Gegner zu terrorisieren. Der Bespitzelung und Denunziation waren damit alle Möglichkeiten, der Lüge und Verleumdung jeder Spielraum gegeben.

Ab November 1938 wurde die Zuständigkeit der Sondergerichte auch auf sogenannte kriminelle Straftaten ausgedehnt. Sie wurden ab sofort zuständig für die Aburteilung nahezu aller Straftaten, "wenn mit Rücksicht auf die Schwere oder Verwerflichkeit der Tat sofortige Aburteilung geboten ... (erschien, d. V.)". (10)

Mit dem Beginn des 2. Weltkrieges wurde die Bildung weiterer Sondergerichte die Einschränkung der Verteidigung und die Aburteilung in Schnellverfahren angeordnet.

(3) Reichsgesetzblatt (RGBL) 1933, I, S. 83 (4) Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv Hannover: Hannover 80, Hann. II Nr. 752, Bl. 1554 (5) Schreiben des Regierungspräsidenten an das preuß. Innenministerium vom 26.03.1933, ebd., Bl. 1555ff (6) zu Moringen, vgl. Klaus Mlynek, Der Aufbau der Geheimen Staatspolizei in Hannover und die Errichtung des Konzentrationslagers Moringen, in: Hannover 1933. Eine Großstadt wird nationalsozialistisch, hrsg. v. Historischen Museum am Hohen Ufer, Hannover, 1981, S. 73 - 80 (7) RGBL, 1933, I, S. 137 (8) RGBL, 1934, I, Nr. 137, S. 332f (9) RGBL, 1934, I, Nr. 137, S. 332f (10) zit. nach: Jugendlexikon Nationalsozialismus, hrsg. v. Hilde Kammer u. Elisabet Bartsch, Hamburg 1982, S. 196