Das ehemalige Gerichtsgefängnis Hannover 1933 - 1945

Alltag und Lebensbedingungen im Gefängnis

4. Das Aufsichtspersonal

Die Lebensbedingungen jedes Häftlings wurden entscheidend von dem Verhalten des Aufsichtspersonals mitbestimmt. Alle Gruppen von Verfolgten, die entweder in Konzentrationslagern oder Zuchthäusern inhaftiert waren, hatten unter dem oft brutalen und inhumanen Verhalten des Wachpersonals zu leiden.

Es ist daher von besonderem Interesse zu erfahren, welches Verhalten die Aufsichtsbeamten des Gerichtsgefängnisses den Häftlingen gegenüber an den Tag legten.

Die meisten der Aufsichtsbeamten hatten schon in der Weimarer Republik ihren Dienst in der hannoverschen Strafanstalt ausgeübt.

Dies bestätigten die vorhandenen Interviewaussagen. Die Beamtinnen werden als "korrekt" in ihrem Verhalten gegenüber den Häftlingen geschildert:

"Auch bei den Frauen war ein Teil Beamtinnen, die noch aus der 'Systemzeit', wie man so schön sagt, also aus der Weimarer Republik da waren, die waren größtenteils sehr korrekt uns gegenüber." (4)

Zum Beispiel wurde einem Gefangenen etwas Eßbares zugesteckt, wurden Kippen fallengelassen und manche "Aktionen" der Häftlinge, wie Reden während des Rundgangs und kleine Schmuggeleien, wurden wohlwollend übersehen.

Beispielsweise erhielt F. G., der einen dreitägigen Arrest absitzen mußte, von einem Aufseher die Erlaubnis, seine Jacke und alles, "was er irgend kriegen konnte", mit in die kalte Arrestzelle zu nehmen. Als er die drei Tage hinter sich gebracht hatte, bekam er von einem anderen Beamten eine Extraportion Linsen zugeteilt.

Den Beamten/innen, die so handelten, mag bewußt gewesen sein, daß sie es bei einem großen Teil der Häftlinge nicht mit "gewöhnlichen Kriminellen" zu tun hatten, sondern mit Menschen, deren einzige "Schuld" es war, den Nazis zu mißfallen oder gegen dieses Regime Widerstand zu leisten.

"Sie gehören doch hier auch nicht rein", mit diesen Worten drückte sich ein Beamter gegenüber F. G. aus.

Wie sehr die Nazis die Menschen quälten, erlebten die Beamten/innen fast jeden Tag und zwar dann, wenn die Untersuchungsgefangenen zum Verhör abgeholt wurden, um danach - oft geschlagen und mißhandelt - ins Gerichtsgefängnis zurückgebracht zu werden.

"Ich war mit Ernst Prost nachher im Prozeß, und uns beide haben sie abends um 10 Uhr, als es schon dunkel war, abgeholt ( ... ).

Dann haben uns zwei Beamte zur Heiligerstraße gebracht, da saß ein SS-Reitersturm, und da haben sie uns dann zusammengeschlagen." (F. G.)

E. B. berichtet in diesem Zusammenhang über eine weitere Schikane durch die Gestapo:

"Die fast täglichen Vernehmungen wurden zeitlich so angesetzt, daß der Abtransport vom Untersuchungsgefängnis in der Leonhardtstraße kurz vor der Essensausgabe geschah, die Ankunft im Polizeipräsidium in der Hardenbergstraße, wo die Verhöre stattfanden, aber erfolgte, als die Essensausgabe beendet war." (5)

Einen weitaus härteren Ton gegenüber den Inhaftierten schlug der Teil des Aufsichtspersonals an, der ideologisch mit den Nationalsozialisten übereinstimmte. 1936 soll eine ganze Reihe von "SS-Frauen" aus Berlin ihren Dienst im Gerichtsgefängnis aufgenommen haben, wobei diese Frauen auch bei ihren Kolleginnen auf wenig Sympathie gestoßen sein sollen. (H. D.)

Aus den Schilderungen von B. W. wissen wir von den Sticheleien und Schikanen, denen die beiden Bibelforscherinnen ausgesetzt waren.

"Besonders die, die immer aufgeschlossen hat morgens, groß, nicht so sehr kräftig und mit einem strengen Haarschnitt - mir kam es so vor, als wenn sie die Frauen provoziert hat. Die Beamtinnen haben immer was gesagt und die beiden haben überhaupt nicht geantwortet." (B. W.)

Ob es den Häftlingen gelang, den Spielraum, den das Verhalten einiger Beamter/innen ihnen ließ, auszunutzen, hing weitgehend von ihrer eigenen Geschicklichkeit und Menschenkenntnis ab.

Sie mußten lernen, zu erkennen, wie weit man bei dem einzelnen Beamten gehen konnte, denn letztendlich barg jeder Verstoß gegen die Gefängnisordnung ein Risiko und wurde vom Aufsichtspersonal nur solange toleriert, wie es dessen eigene Stellung nicht gefährdete.


(4) übereinstimmend mit Grete Höll, in: Antifaschistische Reihe 2, hrsg. v. der VVN/BdA Hannover, S. 23 (5) Antifaschistische Reihe 1, hrsg. v. der VVN/BdA Hannover, S. 24