Das ehemalige Gerichtsgefängnis Hannover 1933 - 1945

Alltag und Lebensbedingungen im Gefängnis

5. „Der Buschfunk klappte wunderbar”
Kontaktaufnahme und Nachrichtenübermittlung

Die Gefängnishaft stellte für jeden Häftling eine Extremsituation dar, in der menschliche Anteilnahme und Unterstützung besondere Bedeutung gewannen. Nur so werden die vielfältigen Versuche der Nachrichtenübermittlung und Kontaktaufnahme verständlich, wobei Strafmaßnahmen wie Arrest oder Besuchsverbot riskiert wurden.

Eine wichtige kommunikative Funktion erfüllte beispielsweise der tägliche Spazlergang im Gefängnishof:

„Beim Rundgang durften wir uns ja nicht unterhalten. Wir gingen einzeln und in einem bestimmten Abstand hintereinander, immer im Kreis herum.

Wenn z. B. Max Hölzer und ich es nicht geschafft hatten, hintereinander zu gehen, dann ist einer ausgetreten — Schuh zugemacht — und der Aufseher hat schon gebrüllt: 'Einordnen!' Dann hat man sich an der gewünschten Stelle wieder eingeordnet und konnte ein paar Worte miteinander wechseln.” (F. G.)

Auch andere Möglichkeiten der Nachrichtenübermittlung, z. B. über Nähbeutel oder Bohnertücher, wurden genutzt und scheinen — da sie uns von mehreren Gesprächspartnerinnen bestätigt wurden — unter den Häftlingen gängige und bekannte Methoden gewesen zu sein:

„Wir haben mit dem Nähbeutel korrespondiert, das war gut. Den konnten wir anfordern, wenn wir 'was zu nähen hatten oder auch nicht ...

In dem Beutel steckte mal eine Zigarette oder irgendwelche Informationen. So wurde von einer Zelle in die andere korrespondiert.” (F. G.)

„Wir Frauen haben uns auch was über unsere Bohnertücher ausgetauscht. Damit mußten wir jeden Morgen auf den Knien den Boden blank reiben, der war vorher mit so 'ner schwarzen Creme eingerieben worden. Das Tuch ließen wir dann auf dem Flur hängen und wenn wir 'was übermitteln wollten, haben wir das im Tuch versteckt und ausgetauscht.” (H. D.)

Besonders bemerkenswert scheint uns die Schilderung von S. H.

Ihr, die noch als Zeugin gegen ihre Freundin auszusagen hatte, wurde deren Anklageschrift zugespielt:

„Meine Schwester arbeitete in der Bücherei und verteilte die Bücher an die Häftlinge. Einmal sagte sie: 'Das Buch mußt Du lesen!' Das paßte mir gar nicht, weil ich es schon kannte. 'Das Buch mußt Du aber lesen!', wiederholte sie.

Da wußte ich ja Bescheid und so habe ich die Anklageschrift von Maria gekriegt und sie studieren können.

Auf demselben Wege habe ich sie dann wieder zurückgegeben - und das alles unter den Augen einer Wärterin.” (S. H.)

Die Tatsache, vom übrigen Geschehen „abgeschnitten” zu sein, erklärt auch das starke Bedürfnis der Häftlinge, durch Zeitungen, Besuche und anderweitige Kontakte an Nachrichten von „draußen” zu gelangen.

Für die „Politischen” hatte das auch die Funktion, über die politische Lage und über Erfolge und Mißerfolge ihrer Partei oder Gruppe im Widerstand informiert zu werden. Schlechte Nachrichten von der Verhaftung bekannter Genossen/innen, Freunde oder Verwandter hinterließen Trauer, Niedergeschlagenheit und das Bedürfnis, es den anderen mitzuteilen.

So diente offenbar selbst ein Zeichenalphabet von Fenster zu Fenster zur gegenseitigen Verständigung.

E. B., die von ihrem Zellenfenster direkten Blick auf einige Zellen des Männerbaus hatte, berichtete, daß sie auf diese Weise Nachrichten übermittelt und entgegengenommen hat.

Per Handzeichen wurde auch bekannt, daß der Leiter des ehemaligen Kommunistischen Jugendverbandes, Hermann Waldvoigt, zu 12 Jahren Zuchthaus verurteilt worden war. (6)

Der direkte Blick aus dem Zellenfenster war allerdings nur auf Umwegen zu erreichen:

„Da mußtest du erst aufbauen, wenn du da ans Fenster wolltest. Erst den Hocker auf den Tisch, dann den Kübel da 'rauf und aufpassen, daß keiner zur Tür kommt. Dann konnte ich einige Zellenfenster des Männerbaus sehen.” (S. H.)

Auch Besuche und Post besaßen einen hohen Stellenwert:

„Wer im Gefängnis sitzt und keinen hat, der sich um ihn kümmert, ist übel dran. Verbindungen zu „draußen” können lebenserhaltend sein. Mich betreute während meiner Haft Dörchen Briam, besuchte mich und schrieb mir Briefe.

Ich erhielt auch Post von Elfriede und besonders von Frau Martens, die als junges Mädchen für mich und meine Geschwister im Elternhaus tätig war.

Sie hat während der Haft meine kleine Tochter liebevoll in Pflege genommen, während Michael meine Eltern bei sich aufnahmen.

So hatte ich das große Glück, dank Dörchens Bemühungen und der Hilfe meiner Mutter, durch Fotos über die Kinder informiert zu sein.” (G. H.) (7)

Hier kommt darüber hinaus zum Ausdruck, daß alleinstehende Mütter im Falle der Inhaftierung besonderen Problemen ausgesetzt waren.

Psychische Unterstützung von „draußen” wurde nicht nur über Besuche und Post vermittelt. Es gab verschiedene Methoden, die trennende, hohe Ziegelsteinmauer ideell zu überwinden.

„Wir wohnten ja 'Alte Celler Heerstraße'. Und wie er im Gerichtsgefängnis war, ging Mutter jeden Abend um sieben Uhr vorm Gefängnis auf der anderen Straßenseite spazieren und Vater machte an seinem Fenster in der Zelle da so 'ne Bewegung ...” (K. B.)

„Die Familie Kolenda wohnte im Volgersweg, also ganz in der Nähe des Gefängnisses. Als Alexander Kolenda verhaftet worden war, ging seine Frau Agnes jeden Abend mit dem Hund die Gefängnismauer entlang und rief: 'Gute Nacht, Alex!' Und für uns Frauen war das ein Gruß mit, denn wir kannten sie von früher und wußten, daß kann nur Agnes sein.

Aber auf einmal war Schluß mit 'Gute Nacht, Alex'. Und drei Tage später wurde sie bei uns eingeliefert. Allerdings konnte man ihr wohl nichts nachweisen, denn sie ist nach kurzer Untersuchungshaft wieder entlassen worden. Der Gute-Nacht-Gruß kam aber nicht wieder, denn sie mußte nun natürlich vorsichtig sein.” (H. D.)

Die Häftlinge, die in der Schlosserei arbeiteten, hatten eine Regelung besonderer Art getroffen:

„Das Stichwort in der Schlosserei war 'Kommode schmeißen'. Eine 'Kommode', das waren vier Päckchen Tabak, damals war das 'Bringmanns Stolz', kostete 50 Pfennig. Und wer 'rauskam, der mußte sich verpflichten, 'Kommode zu schmeißen'.

Ich habe auch 'geschmissen' nachher, den Tabak zusanmmengewiegelt und dann über die Mauer geworfen an der Stelle, wo außen der Schrotthaufen war. Es kam vor, daß Beamte das gesehen hatten, dann haben sie den Tabak natürlich eingesteckt.

Unser Schlossermeister hat häufig 'ne 'Kommode' gefunden, die hat er dann aber unter uns aufgeteilt.” (F. G.)

Auch in der Tischlerei wußte jeder Bescheid, wenn es hieß, 'eine Kommode ist angekommen!':

„Wir haben vorher ein Zeichen vereinbart: Wenn über die Mauer ein Stück Seife mit einem roten Bändchen flog, dann sollte von der anderen Seite her — von der Weißen-Kreuz-Straße — die 'Kommode geschmissen' werden.

In dem Päckchen waren entweder Tabakwaren oder ein Stückchen Wurst oder Butter. Das war eine ganz bestimmte Stelle, wo das geworfen werden mußte.” (W. R.)

(6) Antifaschistische Reihe 1, hrsg. v. der VVN/BdA Hannover, S. 23 (7) Grete Höll, in: Antifaschistische Reihe 2, hrsg. v. der VVN/BdA Hannover, S. 23